Zeitgeist

“She Said”: Mit Weinstein-Opfern gegen das System

Im neuen Film “She Said” von Maria Schrader wird der Fall Harvey Weinstein neu aufgerollt und die Recherchearbeit der Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor nachvollzogen. Der Film leistet große Aufklärung, holt sogar zwei tatsächliche Opfer in den Cast, verarbeitet aber wenig auf künstlerischer Ebene.

Eine zurückhaltende Regie-Koryphäe

Gerade einmal fünf Werke stehen in der Regieliste von Maria Schrader, weitaus weniger als in der Liste ihrer Schauspielengagements. Doch nahezu alle sind bekannt: das Stefan-Zweig-Biopic Vor der Morgenröte war 2017 der österreichische Oscarkandidat, die Netflixserie Unorthodox räumte mehrere Primetime Emmy Awards ab und ihr letzter Film Ich bin dein Mensch über die ethischen Probleme von Humanrobotern wurde im letzten Jahr der deutsche Oscarkandidat. Jetzt nahm sie sich auf Wunsch der Produzentin Dede Gardner (Moonlight) die Backgroundstory zu dem New-York-Times-Artikel vor, der vor fünf Jahren das Karriereende von Harvey Weinstein bedeutete und ihn schließlich für 23 Jahre ins Gefängnis brachte.

Die Story hinter der Story

She Said heißt der 2019 veröffentlichte und 320 Seiten umfassende Bericht der New-York-Times-Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor, der die Recherchearbeit der beiden Co-Autorinnen zum Missbrauchsskandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein transparent macht – der Grundstein für die #MeToo-Bewegung. Der Titel formuliert passend die Herausforderungen, mit denen Twohey und Kantor umgehen mussten: der Kampf, das Schweigen der Opfer zu brechen, die überwältigende Vielzahl an Berichten, aber auch das Sprechen Anderer über die intimen und verletzenden Geschichten. Jodi Kantor (im Film gespielt von Zoe Kazan) geht dem Gerücht nach, dass Rose McGowan von Weinstein sexuell belästigt wurde. Als sie merkt, dass es eine Vielzahl weiterer Fälle gibt, holt sie sich ihre Kollegin Megan Twohey (Carey Mulligan) an Bord, die den Vergewaltigungsopfern von Donald Trump zur Öffentlichkeit verhalf.

Angespannt vor der Veröffentlichung der Recherche: (von links) Matt Purdy (Frank Wood), Megan Twohey (Carey Mulligan), Jodi Kantor (Zoe Kazan), Rebecca Corbett (Patricia Clarkson), Rory Tolan (Davram Stiefler) und Dean Baquet (Andre Braugher) in She Said, inszeniert von Maria Schrader. Universal Pictures.

Viele Herausforderungen, viele Lösungen

Der Film muss sich auf viele Probleme gleichzeitig konzentrieren, was ihm aber die meiste Zeit gelingt. Zum einen schafft er es, die schiere Masse an Informationen verständlich aufzubereiten. Zum anderen ist er kein Denkmal unangreifbarer Genies, sondern zeigt auch die privaten Schattenseiten der Journalistinnen, das Getrenntsein von der Familie und den Kindern oder postnatale Depression. Die unterschiedlichen Beweggründe der Opfer, nicht über das Erfahrene sprechen zu wollen: seien es die Verletzungen oder aber juristische Hindernisse wie Verschwiegenheitserklärungen. Besonders zugute halten muss man dem Film auch, dass er mit Amber Judd und Gwyneth Paltrow auch zwei tatsächliche Opfer aus dem Ursprungsartikel besetzt ist. Beide spielen sich selbst, letztere nur mit Stimme und erstere auch im Bild. Schließlich steht der Film auch vor der Frage: zeigt man den Täter aller Verbrechen, über den die ganze Zeit gesprochen wird? Ja, er taucht auf – wenn auch nur als eine Art Kompromiss: um ihn nicht zu mystifizieren, ist er tatsächlich in Person zu sehen. Um ihn aber nicht mit zu viel Bedeutung aufzuladen, wird nur sein Hinterkopf gezeigt. Denn was Harvey Weinstein in diversen Hotels machte, ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines Systems.

(Von links) Regisseurin Maria Schrader, Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) am Set von She Said, Universal Pictures

Als Kunstwerk unvollständig

Hier liegt dann aber auch gleichzeitig das Problem des Films. Wie es sich anfühlt, in einem solchen System gefangen zu sein oder als Journalistin unter ständiger Bedrohung zu stehen, könnte ein Film besonders einfühlsam durch bildliche Metaphern und Inszenierung zeigen. Maria Schrader versucht das hier und da, wenn z.B. O-Töne der Opferberichte über langsame Aufnahmen von Hotelfluren gelegt werden, eine den Film überspannende künstlerische Verarbeitung findet aber leider nicht statt. So schafft She Said, Twohey und Kantor ein fast dokumentarisch angelegtes Denkmal zu schaffen, aber nicht, ihnen auch ein künstlerisches Mahnmal zu setzen.

Der Film läuft ab 8. Dezember in den österreichischen Kinos.

Header: Szene aus She Said, von links: Rebecca Corbett (Patricia Clarkson), Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan), Universal Pictures

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